Artivismus gegen die Schattenpandemie – Bonner Frauengruppen, Initiativen und Künstler*innen protestieren gegen Gewalt an Frauen

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Zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen gab es vergangene Woche in Bonn eine Reihe von kreativen Aktionen, um ein sichtbares Zeichen zu setzen gegen die Gewalt, die Frauen, Lesben, Inter- und Trans-Menschen (FLINT*) täglich erleben müssen.

Der Aktionstag am 25. November wurde 1981 von Feminist*innen aus Lateinamerika initiiert, um die Einhaltung der Menschenrechte von Frauen und Mädchen auf die globale Agenda zu setzen.  Das Datum erinnert an die Entführung und brutale Ermordung der drei Schwestern Mirabel  am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik. Die Regimegegnerinnen wurden von Schergen des damaligen Militärdiktators Rafael Trujillo umgebracht. Im Jahr 1999 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Resolution, die den 25. November zum Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen erklärte.

Schattenpandemie: Gewalt an Frauen in der Coronakrise

Jeder dritten Frau in der Welt wird laut den Vereinten Nationen im Laufe ihres Lebens Gewalt zugefügt. Das entspricht mehr als einer Milliarde Frauen und Mädchen. Mit der Corona-Pandemie hat sich das Problem weiter verschärft. Nach Angaben von UN Women haben die Anrufe betroffener Frauen bei den nationalen Hilfe-Hotlines während des Lockdowns in vielen Ländern um 25 bis 30 Prozent zugenommen. Die UN spricht daher von einer Schattenpandemie. Auch in Deutschland sind in einigen Bundesländern deutlich mehr Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet worden. Dies ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur im Juni bei den zuständigen Ministerien und Ländern.

Gedenken an weltweite Femizid-Opfer auf dem Münsterplatz (Foto: Armin Hillebrand)

Eine EU-weite Erhebung 2014 zeigte, dass jede zehnte Frau in der EU seit ihrem 15. Lebensjahr irgendeine Form der sexuellen Gewalt erfahren hat. Eine von 20 Frauen wurde schon einmal vergewaltigt. In Deutschland versucht täglich ein Partner oder Ex-Partner eine Frau umzubringen. Jeden dritten Tag geschieht solch ein Frauenmord.

Im Jahr 2019 waren es 117 Frauen nach Angaben des Bundeskriminalamts. Insgesamt gab es laut BKA-Statistik mehr als 141.000 Opfer von Partnerschaftsgewalt. Von den Betroffenen waren 81 Prozent weiblich. Die Statistik enthält jedoch nur die polizeilich gemeldeten Fälle. Expert*innen gehen von einer Dunkelziffer von etwa 80 Prozent aus.

Street Art Aktion in Bonn

Ein Fall von zu vielen (Foto:Frauen*streik Bonn)

Im Vorfeld des Aktionstages haben junge Feminist*innen der lokalen frauen*streik Gruppe 80 Pappschilder in Form eines Frauenkörpers mit Botschaften bemalt und quer im Stadtgebiet aufgehängt.

Mit der Kunstaktion “Die Stimme der Frauen*” wollten sie auf die bestürzenden Zahlen aufmerksam machen und den Betroffenen eine Stimme im öffentlichen Raum geben. Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter. Dazu gehört nicht nur körperliche Gewalt, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, sondern auch verbale und psychische Gewalt, Stalking und zunehmend digitale Gewalt.

Feministische Gruppen fordern den Straftatbestand Femizid (Foto: Frauen*streik Bonn)

Damit sollte auch die Forderung des Deutschen Juristinnenbunds und anderer Frauenorganisationen unterstrichen werden, Trennungstötungen als eine Femizid-Form zu erkennen und entsprechend zu bestrafen.

Gleichzeitig appellierten sie an die Medien und Öffentlichkeit, diese Gewaltverbrechen nicht länger als “Ehedrama” oder „Familientragödie“ zu verharmlosen. Fotos von den Schildern, die einzelne Fälle und unterschiedliche Formen sexistischer Gewalt benannten, wurden von Instagram-Users über 7000 Mal geteilt.

Licht in der Dunkelheit schaffen

Unter dem Motto “Women* Unite, Reclaim the Night!” gab es zudem am 25. November eine von der Frauen*streik-Gruppe organisierte corona-konforme Mahnwache auf dem Münsterplatz. Über 100 Bonner*innen, in der Mehrheit Frauen*, waren dem Aufruf gefolgt.

“Gerade in diesem Jahr haben die Pandemie und Wirtschaftskrise das Zuhause für viele zu einem unsicheren Ort gemacht. Deshalb wollen wir uns auch an diesem 25. November den Raum nehmen, der uns zusteht. Trotz der schwierigen Zeit möchten wir Präsenz zeigen und unsere Solidarität für die Betroffenen ausdrücken,” sagte Ko-Organisatorin Kate Bustin am Beginn der Kundgebung zum Einbruch der Dunkelheit.

Performance Artists Claudia Huismann, Sonja Hellmann und Karla-M. Goetze (Foto: Sandra Prüfer)

Ein diverses Spektrum von lokalen Künstler*innen, Frauengruppen und Initiativen beteiligte sich an der kreativen Aktion mit Lichtern und leuchtenden Transparenten, darunter die Frauenbegegnungsstätte Utamara, Motherhood e.V., Fridays for Future, Seebrücke, das Haus der Frauengeschichte und die ver.di Bezirksgruppe. Die Sound & Performance ART Rosa 3D Gruppe von Claudia Huismann, Sonja Hellmann und Karla-M. Goetze führte eine eindringliche, interaktive Kunstperformance auf.

“Wir sind hier, um uns zu stärken und der Welt zu sagen: Liebt und achtet die Frau, alles Weibliche in dir, dem Mann, der Frau, in mir und der Mutter Natur,” sagte die Künstlerin und V-Day Aktivistin Karla-M. Goetze. 

Women* Unite, Reclaim the Night! Kundgebung auf dem Münsterplatz (Foto: Armin Hillebrand)

Die Redebeiträge verdeutlichten die Bandbreite der Gewalt und Diskriminierung, die FLINT* Personen täglich erleiden, in allen sozialen Schichten und Gesellschaftsbereichen, in den eigenen vier Wänden, in Gerichts- und Kreißsälen, in Flüchtlingslagern, auf der Straße und bei der Arbeit. 

An den grundsätzlichen Ursachen der Gewalt habe sich in den letzten Jahrzehnten wenig geändert. Dafür müssten die patriarchalischen Strukturen und Machtverhältnisse, die Frauen* und Mädchen diskriminieren, aufgebrochen und verändert werden.

“Wir wollen mehr als neue Gesetze. Es braucht eine grundsätzliche Veränderung dieser Gesellschaft, die Gewalt gegen uns ermöglicht und die Täter ungestraft davonkommen lässt,” so Bustin.

Istanbul Konvention konsequent umsetzen

Frauen besser vor Gewalt zu schützen, ist das Ziel der Istanbul Konvention, die seit 1. Februar 2018 ein Bundesgesetz ist. Doch über zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der europäischen Gewaltschutz-Konvention in Deutschland fehlen nach wie vor ein politisches Konzept, handlungsfähige Institutionen und die notwendigen Ressourcen, um alle Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen, kritisiert das zivilgesellschaftliche Bündnis Istanbul-Konvention (BIK). In dem Bündnis haben sich mehr als 20 Frauenrechtsorganisationen, Bundesverbände und Expert*innen mit dem Arbeitsschwerpunkt Gewalt gegen Frauen und Mädchen zusammengeschlossen.

Das 2020 Thema der UN #OrangetheWorld Kampagne ist “Fund, Respond, Prevent, Collect!”

In Deutschland existiere bislang kein flächendeckendes Netz von Beratungsstellen und Schutzräumen für Frauen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Auch die im März von Bund und Ländern verabredeten Hilfsmaßnahmen für Frauen in der Corona-Krise würden zu kurz laufen. 

“Wir begrüßen die Anstrengungen von Bund und Ländern. Gleichzeitig erwarten wir eine konsequentere Umsetzung der Istanbul Konvention,” sagte Ulrike Seeler, Präsidentin des Zonta Clubs Bonn-Rheinaue. Deshalb fordere Zonta an der Seite von UN Women Deutschland “ein gesetzlich verankertes Recht auf einen Platz im Frauenhaus sowie eine langfristige und verlässliche Finanzierung der Beratungs- und Hilfsinstitutionen und den Ausbau von Präventionsangeboten, die Männer und Frauen gleichermaßen mit einbeziehen“, so Ulrike Seeler weiter.

Zonta Clubs Orange The World

Als Teil der globalen “Zonta Says NO” Initiative gegen geschlechterspezifische Gewalt nahmen die lokalen Zonta-Frauen auch dieses Jahr wieder an der UN Orange the World Kampagne und den weltweiten 16 Days of Activism teil. Auf ihre Initiative erstrahlten am Abend des 25. November in Bonn über zehn Gebäude in orange, um auf das Thema aufmerksam zu machen, darunter das Alte Rathaus, das Uni-Hauptgebäude, die Bundeskunsthalle und Godesburg. Darüber hinaus veranstalteten die Zonta-Frauen tagsüber eine “stille Demonstration” auf dem Münsterplatz in Kooperation mit dem Künstler Dennis Meseg und seiner Installation „BROKEN“ 

Kunstinstallation gegen Gewalt an Frauen

Die #MeToo Bewegung startete 2017 in den USA (Foto: Sandra Prüfer)

Der Kunststudent der Alanus Hochschule in Alfter hat eine Installation aus 222 Schaufensterfiguren kreiert, die mit orangefarbenen Band umwickelt und unterschiedlichen Botschaften beklebt sind.

“Broken ist ein Aufruf, ein sichtbarer stummer künstlerischer Aufschrei, die Gewalt gegen Frauen endlich zu beenden,” erläuterte Dennis Meseg. 

Während der 16 Tage des Aktivismus –vom Tag gegen Gewalt an Frauen bis zum Internationalen Tag der Menschenrechte– wird die Installation auf eine Städtetour durch Deutschland gehen. Die Städte, Standorte und weitere Info finden sich hier

Bisher war die Installation in Siegburg, Bonn, Aachen, Köln und Düsseldorf zu sehen. Anfang Dezember zieht sie weiter Richtung Norden bis Hamburg (4.12.). Die Abschluss-Installation findet am 10. Dezember in Berlin am Brandenburger Tor statt. In dem Postcast Interview erzählt der Bonner Künstler über die Entstehungsgeschichte und Intention des Kunstprojekts.

Jörg Mehlhorn war eigens aus Kronberg im Taunus angereist, um die Installation letzten Freitag im Hof des Bonner Frauenmuseums zu sehen. Mehlhorn, der die Deutsche Gesellschaft für Kreativität e.V. leitet, sagte, dass er bereits von Mesegs “It is like it it” Installation “geflasht” worden sei, die er im Frühjahr in Frankfurt gesehen hatte. Sein Verein wolle dem Künstler für dieses Projekt den 2021 CREO Preis verleihen. Die neue Installation findet Mehlhorn ebenso gelungen. Im Gegensatz zu dem Corona-Mahnmal sind die Figuren diesmal alle weiblich (bis auf einen Mann) und in Reih und Glied aufgestellt.

“Durch die Uniformität tritt die Botschaft stärker in den Vordergrund. Das universelle Ausmaß des Problems wird deutlich. Man tritt dann näher, um die einzelnen Texte zu lesen, wird damit persönlich bewegt und berührt,” kommentierte Mehlhorn. Für den promovierten Betriebswirt, der 30 Jahre lang Marketing an der Fachhochschule in Mainz gelehrt hat, ist die weibliche Genitalverstümmulung die grausamste Form von Gewalt an Frauen.

Installation Besucherin Barbara beim Bonner Frauenmuseum (Foto: Sandra Prüfer)

“Berührend, bewegend, beeindruckend” fand auch Barbara aus Köln die Installation. “Ich bin zwischen den Figuren herumgegangen und spürte eine Verbundenheit. Ich gehöre auch dazu,” sagte sie. Sie findet es wichtig, den Mißbrauch sichtbar zu machen und die Gewalt an Frauen* anzuklagen.

Bundesweit wurde der internationale Aktionstag auch genutzt, um die Öffentlichkeit für weniger bekannte Gewaltformen zu sensibilieren, wie die zunehmende digitale Gewalt und die institutionelle Gewalt am Familiengericht gegen gewaltbetroffene Mütter.

Die MIAs starten die #WhiteLilyRev(olution)

Am 25. November hatte der in Berlin sitzende Bundesverband der Mütterinitiative für Alleinerziehende (MIA) mit den Aktivis*tinnen von “Gewalt hat ein Gesicht” zur White Lily Revolution aufgerufen, um auf die fortgesetzte Gewalt durch Familiengerichtsverfahren gegenüber gewaltbetroffenen Müttern und ihren Kindern aufmerksam machen. 

In Anlehnung an die Roses Revolution, die seit einigen Jahren auf Gewalt in der Geburtshilfe aufmerksam macht, möchte die White Lily Rev Kampagne nun diese institutionelle Gewalt gegen Frauen und Kinder sichtbar machen. 

 #whitelilyrev(olution) gegen Gewalt an Frauen per Institutionen

„Mütter, die sich von gewalttätigen Partnern trennen, erleben regelmäßig, dass der Gewaltschutz spätestens an der Tür zum Familiengericht endet“, fasst Sybille Möller, Vorsitzende von MIA, die Lage zusammen. 

Das Recht des Vaters auf Umgang werde nach wie vor höher bewertet als das Recht der Opfer auf Schutz vor Gewalt. Bis heute sei es der Bundesregierung nicht gelungen, das Umgangsrecht mit dem Gewaltschutzgesetz und der Istanbul Konvention zu synchronisieren. Die Folge: erneute Übergriffe, Retraumatisierungen, Gewalt im neuen Gewand.

Ein #WhiteLilyRev Posting aus Hamm von MIA e.V.

Die derzeitigen Reformvorschläge aus dem Bundesjustizministerium sowohl zum Kindschaftsrecht als auch zur Aus- und Fortbildung von Richter*innen und Verfahrensbeiständen reichen nach Einschätzung von MIA nicht aus.

Das Ziel der Kampagne ist, die institutionelle Gewalt unter dem Hashtag #whitelilyrev in den sozialen Netzwerken sichtbar zu machen. Betroffene Mütter werden aufgerufen, Postkarten mit weißen Lilien auf den Stufen bzw. am Eingang der örtlichen Institutionen (Jugendamt, Familiengericht) niederzulegen, zu fotografieren und die Karten in deren Briefkästen zu werfen.

Neben den Fotos werden auf  Instagram und Facebook auch Einblicke in Aussagen während familiengerichtlicher Verfahren anonym zugänglich gemacht. 

Globale #FreeToBeOnline Kampagne gegen digitale Gewalt

Die Kinderrechtsorganisation Plan International hat für ihren kürzlich veröffentlichten Weltmädchen-Bericht „Free to be online” 14.000 Mädchen und junge Frauen in 22 Ländern zu ihren Erfahrungen in den sozialen Medien befragt und herausgefunden: 58 Prozent der Befragten haben Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen erlebt. In Deutschland sind es sogar 70 Prozent. 

#FreeToBeOnline Kampagne gegen digitale Gewalt an Mädchen (Bild: Plan International)

Laut dem Bericht reichen die derzeitigen Melde-Mechanismen nicht aus, um wirksam gegen online Angriffe vorzugehen. Deshalb hat Plan International Deutschland einen offenen Brief initiiert, um von den Betreibern der Digital-Plattformen wirksame Maßnahmen einzufordern.

Klicksafe empfiehlt ebenfalls, Kinder und Jugendliche altersgemäß für sexuelle Grenzverletzungen im digitalen Raum zu sensibilisieren. Nicht zuletzt, weil sie im Zuge der Corona-Pandemie noch häufiger digital kommunizieren. In Chatgruppen würden vermehrt pornografische Inhalte, z.B. in Form von “Sexting”, Porno-Stickern oder Memes, verbreitet. Über die Strafbarkeit seien sich die jungen Users oft nicht bewusst.

Von Gewalt Betroffene können sich in Bonn an diese Beratungsstellen und Hilfseinrichtigungen wenden:

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